Die Produktion Freier Software als Beispiel für Kooperation statt kapitalistischer Konkurrenz





Gibt es eine Alternative zur kapitalistischen Produktionsweise?

The mode of production of the multitude reappropriates wealth from capital and also constructs a new wealth, articulated with the powers of science and social knowledge through cooperation. Cooperation annuls the title of property. In modernity, private property was often legitimated by labor, but this equation, if it ever really made sense, today tends to be completely destroyed. Private property of the means of production today, in the era of the hegemony of cooperative and immaterial labor, is only a putrid and tyrannical obsolescence. (Michael Hardt, Antonio Negri: Empire p.410)

"Kooperation statt Konkurrenzdenken" - kann das funktionieren? Ist die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln eine ferne Utopie? Selbst viele Linke sind der Meinung, dass es, spätestens nach dem Zusammenbruch des "Realsozialismus", nicht mehr möglich ist, glaubhaft darzustellen, dass alternative Wirtschaftsmodelle wirklich funktionieren können. Dass es zwar alternativen zum Kapitalismus gegen muss, aber dass es keine vorzeigbaren, funktionierenden Modelle gibt.


Immer noch von vielen unbemerkt existiert heute schon ein Gebiet in dem das Privateigentum an wichtigen Produktionsmitteln aufgehoben wurde und es handelt sich dabei nicht um eine kleine abgelegene Kolchose in der ein paar idealistische Linke von einer besseren Welt träumen, nein es ist ein Gebiet von Hi-Tech Produktion, dass sich über den ganzen Globus erstreckt und mit der zunehmenden Automatisierung unsere Welt zunehmend an Bedeutung erlangt: Freie Software.


Im folgenden will ich einen, für Nicht-Involvierte lesbaren, Überblick über das geben was Freie Software und dessen Produktionsmodell ausmacht und wie weit es als Modell zur Überwindung des Kapitalismus dienen kann.

Was ist "Freie Software"?

Freie Software (von manchen auch als "Open Source" bezeichnet) baut auf der Idee auf dass, der Bauplan (Source Code) für Software frei sein soll. "Frei" nicht wie in "Freibier" sondern "frei" wie in "Freiheit". Also nicht nur gratis, sondern vor allem mit dem Recht versehen, den Bauplan beliebig weiter verändern und verbessern zu dürfen, solange eben genau diese Freiheit dabei nicht eingeschränkt wird. „Frei“ in diesem Sinne ist in diesem Text Groß geschrieben.

Die Leistungen Freier Software

Die Leistungen Freier Software sind dabei unübersehbar: 70% aller Webserver laufen auf dem freien Apache, die meisten davon auf dem Betriebsystem Linux oder anderen freien Systemen. Immer mehr kommt Linux auch am Desktop zum Einsatz. Die Qualität des Source Codes ist dabei meist höher als bei vergleichbarern kommerziellen Produkten. Insgesamt enthält eine typische Linux-Distribution heute etwa 230 Millionen Zeilen Sourcecode (in Debian, Sarge) (ausgedruckt auf A4 Papier wären das ein Stapel von etwa 380 Meter höhe) und stellt einen Wert von etwa 5.5Milliarden EUR oder 58000 Personenjahre an Arbeit dar. (Zum Vergleich: Österreich gibt etwa 1.7 Milliarden EUR pro Jahr für Verteidigung aus - nicht eingerechnet die Kosten für die vergeudete Arbeitszeit von etwa 20000 jungen Menschen).

Ein kurzer Abriss der Geschichte Freier Software

Anfangs waren Computer große teure Kisten. Alleine die Hardware kostete Millionen. Die Software gaben die Firmen gratis dazu. Diese wurde dann zum Teil von den Benutzern selbst wieder verbessert, bzw. im akademischen Umfeld weiterentwickelt. Doch allmählich wurde es üblich auch Software für sich zu verkaufen. Dabei erhielt man dann nur noch das fertige Programm nicht jedoch den Source Code (den Bauplan) dafür. Damit konnten die Anwender der Software diese auch nicht mehr selbst an ihre Bedürfnisse anpassen. Ein Mann namens "Richard M. Stallman" (RMS) war über diesen Trend nicht besonders glücklich. Seiner Ansicht nach sollte Software frei und mit Source Code erhältlich sein. 1985 Gründete Stallman die "Free Software Foundation" (FSF). Stallman war dabei nicht nur ideologischer Vordenker sondern entwickelte eigenhändig große Teile eines freien Betriebssystems und die GNU GPL Lizenz für freie Software. 1991 begann ein junger finnischer Student namens Linus Torvalds mit der Entwicklung des noch fehlenden Teiles: des Kernels dieses Systems.


Die 4 Freiheiten der GNU GPL Lizenz


Die GPL (General Public Lizenz) (oft auch als "GNU" Lizenz oder "Copyleft" bezeichnet) garantiert 4 Freiheiten:


1.) Die Freiheit die Software für jeden beliebigen Zweck zu benutzen.


2.) Die Freiheit die Software zu verkaufen oder zu verschenken, sofern die Freiheiten nicht weiter eingeschränkt wird und der Source Code (Bauplan) des Programmes mitgeliefert wird.


3.) Die Freiheit die Software nach belieben und eigenen Bedürfnissen zu verändern (dafür ist natürlich notwendig dass der Source Code erhältlich ist - siehe Punkt 2).


4.) Die Freiheit, dass auch die eigenen und veränderten Versionen des Programmes (siehe Punkt 3) beliebig verkauft oder verschenkt werden dürfen (solange der Source Code dafür wieder mitgeliefert wird.)


Zusammengefasst: Die GPL gewährt sehr weitreichende Freiheiten, erlegt aber die Verpflichtung auf, dass diese Freiheiten nicht eingeschränkt werden.

Ist dieses Modell auch auf andere Bereiche übertragbar?

Die Idee liegt auf der Hand: viele Bereiche unseres Lebens bestehen aus Informationsaustausch. Ein immer größer werdender Teil unserer Arbeit ist immaterielle Arbeit und ein Großteil der produzierten Werke ließe sich mit geringen Aufwand beliebig Vervielfältigen. Es liegt also nahe zu vermuten, dass so wie heute Freie Software produziert wird auch viele anderen Güter produziert werden könnten, vor allem wenn es sich dabei um immaterielle Güter handelt. Auf welche Bereiche diese Modell ausgedehnt werden kann, welche Voraussetzungen notwendig sind um dies zu ermöglichen, welche Hindernisse es zu umschiffen gibt und warum das ganze überhaupt wünschenswert ist, das soll im folgenden untersucht werden. Zuerst jedoch zu einem Beispiel bei dem die Übertragung des Modell schon sehr erfolgreich geglückt ist: Wikipedia.

Wikipedia - eine Freie Enzyklopädie

Wikipedia hat sich zum Ziel gesetzt eine freie Enzyklopädie zu erstellen. Dies erfolgt, ähnlich wie die Produktion Freier Software, von freiwilligen MitarbeiterInnen die weltweit via Internet an diesem Projekt arbeiten. Wikipedia hat seit 2001 etwa 575'000 Artikel im englischsprachigen Wikipedia und etwa 240'000 Artikel im deutschsprachigen Teil (Stand Mai 2005). Insgesamt gibt es etwa 1.5 Millionen Artikel in 195 Sprachen. Die Artikel können dabei jederzeit anonym verändert werden, dennoch ist die Qualität der Artikel vergleichbar oder zum Teil höher als bei kommerziellen Enzyklopädien. Im Faktor „Aktualität“ ist Wikipedia jedenfalls nicht zu schlagen. Wikipedia Artikel unterliegen der GFDL (GNU Free Documentation Licence) die ähnlich wie GPL bei Software sicherstellt, dass die Artikel kein Privateigentum der AutorInnen mehr sind.


Ermöglicht wir der Erfolg von Wikipedia nicht zuletzt durch die Verfügbarkeit einer (ebenfalls im GNU Sinne freien) und bedienungsfreundlichen Wiki-Software, die es auch technisch weniger begabten Menschen leicht macht ohne Hürden am Projekt mitzuarbeiten.

Freie Forschung als Modell

Ebenfalls ähnlich den Produktionsmethoden Freier Software ist etwas, das es schon hunderte Jahre gibt: Wissenschaftliche Forschung. Hier wurden Ergebnisse und Informationen ebenfalls frei ausgetauscht. Eine Freiheit die heute zunehmend zerschlagen wird. Mit Patentierung und Evaluierungen wird versuch die Forschung mehr und mehr in das Konzept kapitalistischen Konkurrenzdenkens zu bringen. Die voranschreitende Privatisierung von Schulen und Universitäten tut ein übriges dazu.


Bevor wir uns genauer damit beschäftigen was denn die Entwicklungsprinzipien Freier Software ausmachen, zuerst noch ein oberflächlicher Versuch weitere Bereiche zu identifizieren auf die das Produktionsmodell Freier Software ausdehnbar wäre. Dies vor allem, um Motivation für die nachfolgenden Analysen zu liefern:


Auf der Hand liegt es zu vermuten, dass überall dort wo es um Wissensaustausch und Informationsverarbeitung geht das Produktionsmodell Freier Software übertragbar wäre. Besondere Effizienzsteigerungen sind dabei in jenen Bereichen zu erwarten in denen sehr viel auf vorhandenes Know-How aufgebaut werden kann. Qualitätssteigerungen dort wo der Zwang zur kommerziellen Verwertung dazu führt, dass Produkte unter Termindruck mangelhaft designed werden und dass eher danach designed wird, was die Marktetingabteilungen für verkaufbar halten als danach was kreative Menschen gestalten wollen.


Denken wir an die Produktion von Musik: Die Musikindustrie lebt nicht von der Qualität und den Spass den Musiker haben sondern von den schnelllebigen Popsternchen die mit einer gigantischen Marketingmachinerie heute gehyped und auf die Handys der Kids downgeloaded werden und morgen wieder verschwunden sind.


Mit der zunehmenden Automatisierung werden manuelle Arbeiten generell immer weniger werden. Schätzungen zufolge wird der Preis eines Autos bald zur Hälfte aus Softwarekosten bestehen, gar nicht erst mit eingerechnet, dass die Konstruktion und Planung dieses Autos auch im wesentlichen Informationsaustausch ist. Um wie viel billiger und besser könnten Autos sein wenn die alle Baupläne, Konstruktionsunterlagen und Software frei im Netz veröffentlicht werden müssten? Was wenn wir das generell auch für alle Industrieanlagen verlangen würden? Stellen wir uns eine Wikipedia-artige Enzyklopädie vor in der alle Unternehmen ihr Know-How über industrielle Prozesse, chemische Verfahren, Baupläne dokumentieren würden. Warum nicht Architekten dazu verpflichten die Pläne von Häusern im Netz zu veröffentlichen, damit andere die ein ähnliches Haus haben wollen auf den bestehenden Arbeiten aufsetzen können, etc.. Wir sehen also: Nicht nur in der Produktion immaterieller Güter kann freier Informationsaustausch enorme Vorteile bringen. Spinnen wir diesen Gedanken weiter landen wir beim Fabber:


Fabber

Fabber sind Geräte denen man einen beliebigen Bauplan eines dreidimensionalen Körpers füttert und die diesen danach Produzieren - eine Art "3D Drucker" oder eine "Factory in a Box". Erste Fabber existieren bereits, rentieren sich momentan aber nur für die rasche Herstellung von Prototypen.


http://www.ennex.com/~fabbers/


In einer Welt von automatisierten Fabriken und Fabbers wird neben Rohstoffen und Energie der immaterielle Anteil der Arbeit der wesentlich bestimmende Kostenfaktor in der Produktion sein.


Zurück in die Gegenwart:

Administrative Arbeit, NGOs

Auch im Bereich administrativer Arbeit und der Arbeit von NGOs beruht ein Großteil der Tätigkeiten auf Informationsverarbeitung und Austausch. NGOs sind dabei weitgehend auf die Arbeit von freiwilligen AktivistInnen angewiesen. Auch hier bietet es sich an, die Parallelen zur Produktion Freier Software zu suchen. Die Mechanismen die Menschen motivieren hunderte oder tausende Stunden ihrer Freizeit in Programmierprojekten mitzuarbeiten sind möglicherweise ähnlich denen, die Motivation dafür erzeugen, in NGOs an einer "anderen Welt" zu arbeiten. Ein Beispiel wo dies in Ansätzen schon versucht wurde ist der Kampf gegen die Einführung von Softwarepatente in EU. Hier arbeiten AktivistInnen aus ganz Europa, großteils via Internet zusammen um ein "Lobbying von Unten" zu organisieren. Wikis und Websites als Infopools. Mailinglisten zum Informationsaustausch und ein IRC-Chat-Kanal, um trotz physischer Distanz ein wenig "direkten" Kontakt zu simulieren, sind die Mittel mit denen diese Organisation im Wesentlichen auskommt.


Medien

Die wohl mächtigsten Konzerne sind heute Medienkonzerne. Ihre Arbeit ist im Wesentlichen nichts anderes als Informationen zu sammeln, zu filtern und natürlich den Eigentümer- und zahlenden InserentInneninteresse gemäß zu manipulieren (wobei die "passende" Filterung i.a. schon Manipulation genug ist). Die Existenz des Internets selbst hat hier schon für völlig andere Verhältnisse gesorgt als wir sie noch vor 20 Jahren hatten: Den Interessierten steht heute prinzipiell der Zugriff auf unabhängige und vielfältige Informationsquellen offen: Alleine, die Menschen wollen nach ihren Interessenslagen und Relevanz gefilterte Informationen, daher besucht ein Großteil der SurferInnen auch heute noch die Online Angebote traditioneller Medien. Mit Initiativen wie Wikinews, der aufkeimenden Blogger-Szene und kollaborativen Filtermethoden wie sie von Slashdot bekannt sind, könnte dieser Trend durchbrochen und die Medienkonzerne wesentlich entmachtet werden.


Die obigen Absätze geben, so hoffe ich, jedenfalls Motivation um sich näher mit der Produktion Freier Software auseinander zu setzen.

Entwicklungsprinzipien und Bedienungen Freier Software

Im folgenden soll kurz umrissen werden was die Produktion freier Sotware ausmacht. Im weiteren wollen wir analysieren wie sehr diese Punkte relevant sind wenn diese Methode auf andere Bereiche übertragen werden soll.


a) Freier (im GNU Sinne Zugriff auf den Source Code)


b) Konfliktresolution: Möglichkeit von Forks.


c) Mitentscheidung durch Mitarbeit. "Show running Code".


d) Realitätsbezug durch relativ objektive Überprüfbarkeit von Ergebnissen.


e) MaintainerInnenprinzip


f) Dezentrale kommuniktion via Netz.


g) Modularisierbarkeit


h) Resourcen/Zeit für Projekte ist Vorhanden


i) Niedrige Einstiegshürde


k) Motivation



zu a.) Freier Zugang zum Sourecode. In unsere komplexen Welt wird fast nichts von "Null" weg entwickelt oder erfunden. Wir bauen auf den Ergebnissen anderer auf und die Möglichkeit darauf aufzubauen ist in vielen Fällen unabdingbar oder zumindest ein enormer Vorteil. Natürlich lässt sich in manchen Bereichen auch ohne diese Voraussetzung arbeiten: Kommerzielle Programme bieten Schnittstellen, um mit anderen Programmen und Modulen zusammenzuarbeiten, auch ohne dass das Innenleben dieser Programme offen gelegt werden muss, aber das Potential für schnelle Innovationen und weitgehende Veränderung dieser Programme ist damit doch relativ gering. Zugriff auf den Source Code bedeutet, dass das Rad nicht jedes mal neu erfunden werden muss und bringt damit eine wesentliche Effizienzsteigerung im Vergleich zur kommerziellen, "Closed Source" Entwicklung.


zu b.) Wie werden Konflikte bei der Entwicklung Freier Software aufgelöst? Entwickler A denkt, dass ein bestimmtes Problem auf eine Weise gelöst werden soll und Entwicklerin B will dies auf eine andere Weise lösen? Zu beachten ist dabei, dass daraus nur ein Konflikt entstehen kann, wenn dies auf unüberwindbare Gegensätze stößt. Viele Differenzen lassen sich bei Verfügbarkeit des Quellcodes auch dadurch lösen dass z.B. beide Varianten implementiert werden und optional genutzt werden können. Nur wenn es unüberwindbare Probleme gibt, dann wird ein so genannter Fork (engl: Gabelung, Gabel) notwendig: Jede/r nimmt den (freien) Source Code und löst das Problem unterschiedlich: Aus einem Projekt werden 2 getrennte Projekte, die jedes für sich weiterentwickelt werden. Damit geht allerdings einiges an Effizienz verloren: Jedes der Entwicklerteams hat nur die Hälfte der Entwickler und viele Änderungen am Code sind doppelt in beiden Projekten notwendig. ProgrammierInnen versuchen daher Forks zu vermeiden. Selbst dort, wo diese vorkommen, ist die entstehende Ineffizienz meist geringer als in kommerziellen Projekten: schließlich kann doch vieles vom Code aus dem einen Projekt in das andere übernommen werden und umgekehrt. Die Möglichkeit eines Forks spielte z.B. dabei eine große Rolle, um zu verhindern dass Wikipedia, sich über Werbung finanzieren sollte. Als Gerüchte in diese Richtung in Umlauf waren, drohte das spanische Wikipedia mit einem Fork.



zu c.) "Talk is Cheap. Show me the Code" ist einer der berühmten Aussprüche von Linus Torvalds. Anstelle lang herumzuargumentieren sollen die Menschen, die meinen, dass etwas anders gemacht werden kann, dies auch selbst (zumindest ansatzweise) programmieren. "Show running Code" ist damit einerseits eine immanente Verankerung in der Praxis (Vergleiche Marx, Feurbachthesen: "Das gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch. Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mystizismus verleiten, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und im Begreifen dieser Praxis.") und gleichzeitig weiteres probates Mittel zur Konfliktlösung: Nur wer genügend Interesse an der Lösung eines Problems hat, um daran auch mitzuarbeiten, ist in die Entscheidung auch eingebunden. Daraus folgt auch eine Motivation zur Mitarbeit: Wer die eigenen Ideen verwirklicht sehen will, muss sich auch selbst Einbringen.


zu d.) Realitätsbezug. Eng verbunden mit obigem Prinzip ist die Tatsache, dass Software Entwicklung trotz aller Immaterialität eine praktische Angelegenheit ist. Ob ein Programm bei entsprechenden Input den gewünschten Output liefert oder nicht ist in den meisten Fällen sehr leicht entscheidbar, ebenso ob ein Stück Code ein Programm schneller macht oder nicht, lässt sich i.a. relativ leicht überprüfen. Ebenso ob es ein zusätzliches Feature implementiert oder ob es offensichtliche Fehler hat. "Wahr und Falsch" ist in dieser praktischen Welt relativ leicht zu trennen. (Auch wenn dies bei manchen längerfristigen Strategie-Entscheidungen nicht ganz so einfach ist, wie es naiverweise erscheinen mag.) Versuchen wir die Methode der Produktion Freier Software auf andere Projekte auszudehnen, die ebenfalls einen direkten Bezug zur Praxis haben, stellt dies kein Problem dar: z.B: ein auf "open source" Basis entwickeltes Medikament wird in Test Reihen bestätigen ob es wirksam ist oder nicht. Dort, wo wir allerdings versuchen, Visionen in Bereichen zu generieren, denen unmittelbare Überprüfbarkeit fehlt, ist es umso wichtiger, dass wir diesen Bezug zur Realität anstreben. So ist meines Erachtens das NPOV1 Mantra von Wikipedia ein wesentliches Element, dass zum funktionieren von Wikipedia beigetragen hat. Auch wenn die objektive Qualität eines Artikels über ein Thema wie z.B: "Sozialismus" nur schwer überprüfbar ist, so stellen die weitgehend formale Regeln des NPOV Prinzips einen Bezugsrahmen dar, in dem gewisse Qualitäten eines Artikels mehr oder weniger objektiv bewertet werden können.


zu e.) Die Person, die Arbeit an einem Projekt koordiniert, wird "MaintainerIn" genannt. Er oder sie sammelt die eintreffenden Änderungen im Code, gibt erfahrenen und fleißigen KontributorInnen direkten Zugriff zum Code und sammelt Bugreports von AnwenderInnen. Üblicherweise sind MaintainerInnen selbst am aktivsten an der Arbeit an einem Projekt beteiligt. Ist jemand mit der Arbeit der MaintainerIn nicht zufrieden, so kann er oder sie notfalls auch zum Mittel des Forks (siehe Punkt b) greifen. Üblicherweise geben aber MaintainerInnen, sobald sie das Interesse an einem Projekt verlieren, freiwillig an die Leute, die noch am intensivsten daran arbeiten und arbeiten wollen, weiter. MaintainerIn ist also nicht "ChefIn" sonder bestenfalls "KoordinatorIn", deren Macht durch die Möglichkeit des Forks stets beschränkt ist.


zu f.) "Dezentrale Kommunikation via Netz". Die Kommunikation via Netz ermöglicht es potenziell sehr vielen Menschen sich an der Entwicklung zu beteiligen. Gibt es z.B. 10 Menschen weltweit die Interesse an der Lösung eines bestimmten Problems haben so sind die Chancen, dass sie sich via Netz finden relativ gut, der Aufwand und die Kosten für physische Treffen zur Zusammenarbeit wären aber meist zu hoch. Das Netz ermöglicht somit solche Projekte. Die Notwendigkeit einer meist schriftlichen Kommunikation und einer guten Dokumentation von Code der von vielen Menschen bearbeitet werden können soll, die nur wenig Möglichkeit zur direkten Kommunikation haben, zwingt einen Arbeitsstil auf, der zu Offenheit und Transparenz neigt: Die Dinge werden schriftlich über Mailinglisten kommuniziert und sind später für z.B. NeueinsteigerInnen oder Menschen, die akut gerade keine Zeit haben sich einzubringen, nachvollziehbar. Im Gegensatz dazu wird bei Arbeiten unter Menschen die die Möglichkeit haben sich persönlich zu treffen oft sehr viel auf informelle (und damit wenig nachvollziehbaren) Wegen kommuniziert.


zu g.) Modularisierbarkeit und Parallelisierbarkeit. Um es zu ermöglichen, dass viele Menschen gemeinsam an einem Projekt arbeiten können, ist es von enormen Vorteil wenn die Aufgaben in kleine, von einander relativ unabhängige Teilbereiche (Module) geteilt werden können. Je getrennter die Teilbereiche bearbeitet werden können, desto leichter ist es, ohne hohen Kommunikationsaufwand zusammenzuarbeiten. Kommuniziert werden müssen nur noch die Schnittstellen zwischen den Modulen, nicht jedoch die konkreten Implementierungen innerhalb der Module. Modularisierbarkeit ist generell für größer Projekte wichtig aber die Kommunikation via Netz fordert eine Modularisierung viel stärker und in einem früheren Stadium. Hier haben wir also einerseits eine Einschränkung dessen, was leicht via Netz bearbeitet werden kann (nur was gut modularisierbar ist funktioniert) andererseits einen Vorteil (die Notwendigkeit der Modularisierbarkeit legt gutes Design nahe).


Modularisierbarkeit ist die Möglichkeit eine Arbeit in verschiedene Teilbereiche aufzuspalten. Wir können uns aber auch eine Arbeitsteilung vorstellen, wo Arbeit an identen Aufgaben geteilt wird. Wir wollen in diesem Zusammenhang von "Parallelisierbarkeit" sprechen. "Debuging" ist parallelisierbar: Jede/r testet das selbe Programm aber durch unterschiedliche Nutzungsverhalten werden die Leute verschiedene Fehler entdecken. Eine These von mir: Kreativität selbst ist parallelisierbar. Kreativität ist braucht viele Ideen und ein Filter um unsinnige Ideen auszufiltern.


Stellen wir uns eine Aufgabe vor, die auf kreative Weise zu lösen ist. 100 Menschen versuchen sich an der Aufgabe. Jede/r mailt ihr/sein Ergebnis an 5 andere Menschen zur Bewertung. Die 5 besten Lösungsansätze werden an alle verschickt. Danach vielleicht eine 2te Runde des Spiels...


zu h.) Was nicht vergessen werden soll: Wesentliche Voraussetzung dafür, dass jemand Zeit für Projekte wie Wikipedia oder Freie Software investieren kann ist, dass diese Zeit vorhanden ist. Gut bezahlte IT-SpezialistInnen können es sich leisten, abends für ihre Hobby Projekte Zeit aufzuwenden oder ihre Wikipedia Artikel zu verfassen. Die Situation bei Freier Software ist jedoch wesentlich komplexer als dieses einfache Bild: Freie Software wird zum Teil auch von kommerziell arbeitenden Firmen entwickelt oder zumindest weiterentwickelt. Mehr zu den ökonomischen Aspekten Freier Software und den Überschneidungspunkten mit der kapitalistischen Produktionsweise später. Was an dieser Stelle angemerkt werden soll: Damit Menschen ihre Arbeitskraft freiwillig für Projekte zur Verfügung stellen können, müssen sie auch (zumindest über Teile) dieser Arbeitskraft frei verfügen können. Eine hohe Grundsicherung und radikale Verkürzung der unfreien Arbeitszeit auf 20 oder weniger Stunden pro Woche wären hier ein Schlüssel dafür, um ein gigantisches kreatives Potential freizusetzen.



zu i.) Freiwilige MitarbeiterInnen zu gewinnen ist nur möglich wenn die Einstiegshürden entsprechend niedrig sind. Im Falle Freier Software reicht ein Standard Computer, der in den meisten Fällen noch nicht einmal besonders neu sein muss und eine Internet Verbindung (die notfalls nicht unbedingt besonders schnell oder permanent sein muss). Auch wenn diese Ausstattung für uns selbstverständlich ist: mehr als die Hälfte der Menschen auf diesem Planeten haben noch nie ein Telefongespräch geführt (UN Bericht 1998). Ob und wie die Konzepte Freier Software hier beitragen können, diese Zustände zu verhindern, soll in einem eigenen Punkt behandelt werden. Eine weitere mögliche Hürde für die Beteiligung an Projekten sind notwendige Vorkenntnisse und Ausbildung. Die EntwicklerInnen freier Software stellen hier keine formalen Anforderungen und auch die Beteiligung an einem Wikipedia Artikel bedarf keiner solcher Qualifikationen. Natürlich zeigt sich in der praktischen Arbeit sehr bald, wer etwas von der Materie versteht, und Änderungen an Software, die nicht funktionieren, werden zurückgewiesen. Abgesehen davon, dass es schon eines gewissen Mindestmaßes an Wissen bedarf, um diese überhaupt in der richtigen Form an die an richtige Stelle zu schicken. Ausbildung und Know-How sind in diesem Sinne eine Hürde, die für qualifizierte Arbeit notwendig sind. In welcher Form hier das Konzept der Produktionsweise Freien Software dazu beitragen kann, diese Hürde überwindbar zu machen, soll ebenfalls in diesem Artikel noch genauer behandelt werden. Verteilte Arbeit im Netz setzt natürlich generell eine Kenntnis nicht nur des entsprechenden Themenfeldes, sondern die Beherrschung der im Netz notwendigen Kommunikationstechniken voraus. Im Falle der Software Entwicklung fallen diese beiden Anforderungen ohnehin zusammen und dort wo noch entsprechende Werkzeuge zur einfachen kooperativen Arbeit fehlten, wurden solche von den ProgrammiererInnen selbst geschaffen. Unabdingbar für den Erfolg von Wikipedia war die Verfügbarkeit einer leicht bedienbaren Wiki Software, die ohne große Hürden eine breite Beteiligung an dem Projekt ermöglichte und die an den Anforderungen, die dieses Projekt stellt, weiter entwickelt wird.


zu j.) Eine wesentliche Fragestellung bei der Analyse der Produktionsweise Freier Software ist: "Was motiviert Menschen, freiwillig an Projekten mitzuarbeiten?" (abgesehen davon, dass inzwischen auch viele Freie Software Projekte bezahlt werden.) Ich denke diese Fragestellung ist ebenfalls zentral, wenn wir versuchen wollen, das Modell Freier Softwareentwicklung auf andere Bereiche zu übertragen. Es ist auch die Frage vor der NGOs stehen, die ihre Schlagkraft verbessern wollen: Wie das Potential all der vielen Menschen zu nutzen, die sich in Projekte einbringen könnten, aber es aus unterschiedlichsten Gründen noch nicht tun? Letztlich ist auch eine NGO einem Freien Software Projekt nicht unähnlich: Die Arbeit besteht zu einem sehr großen Teil aus Informationsaustausch und wird zu einem großen Teil von freiwilligen AktivistInnen erledigt. Der Punkt "Motivation" verdient jedenfalls eine genauere Betrachtung:

Was motiviert Menschen, sich an Freien Projekten zu Beteiligen?

Zu Bedenken gilt es hier, dass das was Menschen "motiviert" nicht unbedingt unabhängig von der Gesellschaft ist, in der sie leben und sozialisiert wurden. In den 80er und frühen 90er Jahren des 20. Jahrhunderts war es üblich, dass junge ProgrammiererInnen ein Shareware Programm schrieben. ("Shareware" Programme sind kommerzielle Programme die allerdings einige Zeit gratis benützt werden dürfen bevor eine Gebühr dafür zu bezahlen ist und die ebenfalls meist über Elektronische Netze vertrieben werden). Heute, in einer Welt voll von freier Software schreibt kaum noch jemand an Shareware Programmen. Grund dafür ist, meines Erachtens, vor allem eine sozialer: Niemand will in einer Welt in der man/frau sich gegenseitig Software schenken als Geizhals daher kommen, der für ein Programm Geld verlangt. Auch wenn uns also klar sein muss, dass die "ideologische Seite" hier durchaus veränderbar ist, macht es Sinn sich die Gründe anzusehen, warum Menschen sich in solche Projekte einbringen:


Laut einer Studie aus dem Jahre 2001 teilen sich die Menschen die an Freier Software entwickeln in folgende Bereiche:


(siehe: http://www.ostg.com/bcg/bcg-0.73/img28.html )



Einer der ersten die sich intensiv mit den Fragen auseinander gesetzt haben wie Freie Software Entwicklung funktioniert und was die Motivation dafür ist war Eric S. Raymond. Sein, von einem techno-libertären Standpunkt aus formuliertes Essay "The Cathedral and the Bazaar" zeigt einen wichtigen Aspekt Freier Software im Zusammenwirken mit unserer kapitalistischen Welt auf, der uns später noch beschäftigen wird. Aus seinen Essays lassen sich folgende Punkte heraus destillieren, warum freie Software entwickelt wird:



Besser als bei Raymond werden diese Ideen noch in einem Microsoft internen Memo von Vinod Valloppillil zusammengefasst, das eine Analyse der "Open Source" Bewegung darstellt und auch Gegenstrategien entwirft (etwa die Verwendung von Patenten). Das Memo wurde durch eine Indiskretion veröffentlicht und ist aufgrund des Veröffentlichungsdatums als "Halloween Memo" bekannt geworden.


http://hesketh.com/schampeo/misc/halloween.html


Was sich dabei an Informationen für andere Projekte herauslesen lässt, ist meines Erachtens:


Welche Barrieren gilt es zu überwinden, um an Freien Projekten mitzuarbeiten?

Dies ist eine wichtige Fragestellung, vor allem wenn wir darüber nachdenken wollen, wie weit diese Techniken geeignet sind Armut, Ungleichheiten und Unterdrückungen zu überwinden. Wichtig auch um Projekte so zu gestalten, dass diese Hürden möglichst wenig zum tragen kommen, und sich damit ein möglichst breiter Kreis an potentiellen MitarbeiterInnen ergibt.


A.) freie Zeit


B.) Ausbildung, notwendiges Know How


C.) Kommunikationstechniken


D.) kulturelle Barrieren


E.) technische und finanzielle Barrieren


F.) künstliche Barrieren - Patente, DRM


zu A.) Unentgeltlich an Freien Projekten mitarbeiten kann nur, wer es sich leisten kann, die dazu notwendige Zeit aufzubringen. Wer einen anstrengenden 40 Stunden Job hat, wird daneben nur wenig Muße aufbringen auch noch an vielen Freien Projekten arbeiten zu können und wer alleinerziehend ist ebensowenig. Notwendig damit möglichst viele Menschen ihre kreative Potential für Freie Projekte nutzen können ist, wie schon oben erwähnt, eine radikale Verkürzung der unfreien Arbeitszeit und eine garantiertes Grundeinkommen für alle.


zu B.) Ausbildung, Know-How. Um Software schreiben zu können ist nicht unbedingt eine formale Ausbildung notwendig, wenngleich durchaus hilfreich. Vieles über guten Programmierstil lässt sich lernen, in dem man/frau den Bauplan anderer Programme studieren kann. In einer Welt, in der der Zugang zu formaler Bildung zusehends durch Privat-Unis und Studiengebühren verteuert wird, bietet also die Befreiung von Wissen durch Freie Produktion eine Möglichkeit, diese Barriere etwas zu verringern.


zu C.) Kommunikationstechniken. Neben dem Wissen um das zu bearbeitende Feld ist es ebenfalls notwendig, dass die Menschen mit den entsprechenden Kulturtechniken vertraut sind, die zur Kommunikation via Netz benutzt werden. D.h.: Email-listen, Wikis, IRC und andere spezialisierte Programme die zur Kommunikation bei den jeweiligen Projekten eingesetzt werden. Für internationale Projekte kommt auch die Beherrschung der englischen Sprache dazu.


zu D.) Neben den Kommunikationstechniken gibt es noch andere kulturelle Barrieren: wer z.B. an einem Freien Software Projekt mitarbeiten will, muss über ein gewisses "Kulturelles/Fach Know How" verfügen. Was ist CVS? Was ist ein patch? Welche Fragen sind für deine -develop liste angebracht um sich dort nicht unbeliebt zu machen? etc..etc.. Zum Teil sind diese Barrieren durchaus gewünscht, da sie verhindern, dass sich Menschen an den Projekten beteiligen, denen die grundlegendsten Voraussetzungen dafür fehlen und die damit den anderen eher zur Last fallen würden.


zu E.) Technische und Finanzielle Barrieren. Ein Computer (der nicht unbedingt der neueste sein muss) und eine Internetleitung (die nicht unbedingt die schnellste sein muss) reichen um an Projekten wie Freier Software oder Wikipedia mitarbeiten zu können. Dennoch ist das eine extrem unüberwindliche Hürde für Menschen die von 1 oder 2$/Tag leben müssen. Die Hälfte der Weltbevölkerung hat noch nie ein Telefonat geführt. Siehe dazu das Kapitel "Digital Divide". Auch in der ersten Welt leben viele Menschen unter der Armutsgrenze und können sich keinen Internetantschluß leisten, obwohl gerade der Zugang zu Information viele wichtige Hilfestellungen dazu bietet, um dieser Armut wieder zu enfliehen. Ein kostenloser Basiszugang zum Internet mit z.B. 128Kbit/s sollte daher als Bestandteil der Daseinsvorsorge gelten.


Welche finanziellen Barrieren mit einer gewissen Tätigkeit verbunden sind, ist auch ein wichtiger Aspekt bei der Überlegung auf welche anderen Bereiche das Modell Freier Software übertragbar ist: Oft sind für Forschung auch teure Anlagen, Labors oder Fabriken notwendig. Ein Weg aus diesem Dilemma könnte die Kooperation von "praktischen" AktivistInnen vor Ort sein, die durch verschiedenste Umstände Zugang zu notwendigen technischen Mittel haben und "theoretischen" ArbeiterInnen die sich via Netz beteiligen sein. Sinnvoll wäre daher ein Ausbau anstatt eines Abbaus öffentlicher Universitäten, vor allem mit dem Ziel Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur für die Community bereit zu stellen.



zu F.) künstliche Barrieren: Patente, DRM. Auch die Konzerne haben längst schon verstanden, dass die Zukunft in der Kontrolle von Wissen und Information liegt und versuchen dies mit technischen und legistischen Maßnahmen. Verkaufen lässt sich im Kapitalismus nur was rar ist. Etwas das beliebig und ohne Kosten vervielfältigbar würde also keine besonders guten Preise erzielen. Also muss in der Logik des Kapitalismus dem Überfluss ein Ende gesetzt werden und ein "künstlicher Mangel" hergestellt werden. Urheberrecht/Copyright und Patente waren bis jetzt die gesetzlichen Mittel die der bürgerliche Staat bereitstellte um im Interesse weniger möglichst vielen zu schaden. Diese Instrumente wurden gerade in den letzten Jahren weiter ausgebaut. Man/Frau denke an Software und Biopatente. Notwendig wäre hier eine schrittweiser aber zügiger Abbau dieser künstlichen Einschränkungen der Informationsfreiheit. Die Gültigkeitsdauer von Urheberrechten und Patenten sollte schrittweise herabgesetzt werden und nach Ende der Laufzeit sollte ein Werk automatisch in den Status der GPL übergehen.


Unterschätzt wird auch die Gefahr die von DRM ("Digital Rights Management" - von KritikerInnen auch "Restrictions Managment" genannt) und den, darum gruppierten Technologien wie "Trusted Computing", ausgeht. Scheinbar verlassen sich die Konzerne hier nicht mehr wirklich auf den Staat und seine Gesetze sondern nehmen die Kontrolle von Information selbst in die Hand. Mit Verschlüsselungstechniken wird der Zugang zu Information versperrt und nur denen geöffnet die sich "ausweisen" können. Ziel ist die totale Kontrolle über alle unsere Informationsflüsse. Dabei wird die Kontrollausübung anfangs noch relativ unaufdringlich sein. Mit zunehmender Verbreitung von entsprechender Hardware wird die Schraube immer enger gezogen werden. Mit sexy Spielzeug wie dem Apple iPod soll diese faschistoide Technologie den Massen schmackhaft gemacht werden. Für Freie Software stellen diese Technologien allerdings eine ernste Gefahr dar und damit auch für die freie Infrastruktur für alle darauf aufbauenden Freien Projekte.


Kompatibilität mit dem Kapitalismus?

Freie Software und Wikipedia sind Projekte die im besten Sinne als "kommunistisch" bezeichnet werden können: Die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Eine Vergesellschaftung der selben, aber nicht durch "Verstaatlichung" sondern indem der Code einfach jenen gehört die ihn benützen wollen. Wenn also Bill Gates and Steve Ballmer die GPL als "kommunistisch" bezeichnen haben sie, meiner Meinung nach, den Nagel auf den Kopf getroffen. Wir würden also erwarten dass Freie Software und Freie Projekte und der Kapitalismus in direktem Gegensatz zu einander stehen. Wenn wir uns die jüngsten Versuche ansehen mittels Patenten und Urheberrechtserweiterungen den Freien Informationsfluss zu behindern so sehen wir, dass dem durchaus so ist. Paradoxerweise ergibt sich aber bei näherem Hinsehen ein viel differenzierteres Bild in dem Freie Software durchaus auch "kompatibel" mit kapitalistischer Marktlogik ist.


Auch wenn Freie Projekte mit der Abschaffung des Privateigentums an Information über den Kapitalismus hinaus weisen, so müssen diese Projekte doch im Hier und Heute entstehen und wachsen können, um ihn schrittweise überwinden zu können. Es lohnt sich also diese "Kompatibiltäten" ein wenig näher zu betrachten.


Dabei sollten wir jedoch nicht den Fehler machen, diese "Kompatibilitäten" als Selbstzweck stehen zu lassen, so wie dies "Open Source" - Ideologen wie Raymond tun. Umgangssprachlich werden die Begriffe "Open Source" und "Freie Software" oft synonym verwendet, dahinter stehen aber ideologisch durchaus unterschiedliche Konzepte: Freie Software baut auf Richard M. Stallman und den vier Freiheiten der GPL (siehe oben). "Open Source" erhebt den Aspekt der Nützlichkeit der "offenen" Produktionsmethoden an oberste Stelle. Die beiden Sichtweisen sind dabei natürlich nicht völlig gegensätzlich, aber im Zweifelsfall macht die "Open Source Ideologie" doch eher leichter Zugeständnisse an Konzerninteressen zugunsten einer vordergründigen Nützlichkeit. Würden wir z.B. auf das Recht auf Pressefreiheit und Freie Meinungsäußerung verzichten, nur weil jemand vorrechnet, dass es schlecht für die Wirtschaft ist?


Zu den "Kompatibilitätspunkten" Freier Software mit dem kapitalistischen System:


.) Freie Software wird natürlich gerne in kommerziellen Unternehmen eingesetzt: Was nichts kostet erhöht die Profite. Oft sind es auch die höhere Qualität der Freien Produkte die dabei den Ausschlag geben und die Möglichkeit, die Software an eigene Bedürfnisse anzupassen:


.) Freie Software, die in kommerziellen Unternehmen verwendet wird, wird dort oft auch weiter entwickelt und die Ergebnisse werden wieder der Community zur Verfügung gestellt. Oft ist es für ein Unternehmen billiger ein Stück Freie Software zu nehmen und fehlende Features selbst einzubauen (oder gegen Bezahlung von ProgrammiererInnen einbauen zu lassen) als teure kommerzielle Software zu kaufen.


.) Ausgehend vom obigen Beispiel könnten wir uns leicht eine Welt vorstellen in der ein Markt für Auftragsprogrammierung an Freien Software Projekten besteht. Hunderte von KleinunternehmerInnen könnten um den Auftrag zur Weiterentwicklung eines Stücks Freier Software konkurrenzieren. Dies ist möglich, weil alle Zugriff zum Source Code haben. Im Gegensatz dazu ist dies in einer Welt mit kommerzieller "Closed Source" Software nicht möglich: Hier kann nur der Originalhersteller der Software Änderungen an dieser anbringen, da nur dieser den Bauplan besitzt. Alternative wäre nur der Umstieg auf eine ganz andere Software, was aber oft aus vielerlei Gründen nicht in Frage kommt. Wir haben hier also den paradoxen Fall dass Freie Software besser mit der Marktlogik kompatibel ist als kommerzielle.


.) Manchmal entwickeln Unternehmen Software für interne Zwecke und geben diese dann Frei weil sie sich erhoffen, dadurch GratismitentwicklerInnen für ihre Software zu finden.


.) Freie Software als Waffe im Konkurrenzkampf: Aus der Erkenntnis heraus, dass bei einer fast 100% Marktdominanz von Microsoft im Softwarebereich der Raum für alle Konkurrenten recht eng wird, setzen diese zunehmend auf Freie Software. IBM setzt auf Linux und hofft mit Hardware und Service Geld verdienen zu können. Sun hat das kommerzielle Officepacket "Staroffice" gekauft und es unter dem Namen "Openoffice" unter einer GPL Dual-Lizenz freigegeben. Mit einem Freien Office Paket wird es auch wieder möglich ihr kommerzielles Sun/Solaris-Unix für den Desktop Einsatz anzubieten.


.) Ob eine MitarbeiterIn ihr Wissen und ihre Kreativität in ihre Arbeit einbringt oder nicht ist nicht messbar und nicht überprüfbar. Es kann auch nicht "Verordnet" werden. Im Zuge der "Motivation" der MitarbeiterInnen werden kommerzielle Betriebe zunehmend ebenfalls auf Strukturen setzen, die denen der Entwicklung Freier Software ähnlich sind. Studien belegen, dass Geld kein besonders geeignetes Mittel zur "Förderung" von Kreativität ist: 2 Gruppen von Menschen wurde die selbe Aufgabe gestellt. Der einen Hälfte wurde für die Lösung ein monetäre Entlohnung in Aussicht gestellt. Die Lösungen der unbezahlten Gruppe waren meist schneller und besser:


( Siehe: http://www.gnu.org/philosophy/motivation.html )



Viele der oben genannten Beispiele ließen sich sicherlich auch in der einen oder anderen Form auf andere Bereiche übertragen in denen eine Freie Produktion durch Überwindung des Privateigentums an Information möglich wäre. Ein entscheidender Faktor dabei ist sicherlich wie sehr "das Aufsetzen" auf bestehende Freie Projekte Vorteile gegenüber einem "Neuentwickeln von Scratch" bietet. (z.B. Einen neuen Webserver wie Apache selbst zu entwickeln wäre sehr aufwändig und es macht (auch kommerziell) Sinn darauf aufzubauen, während z.B.: die Komposition und Aufnahme eines Liedes für eine CD weniger abhängig davon ist ob jemand Zugang zu andere Freien Musikstücken hat oder nicht - Auch wenn der Zugriff auf eine große Bibliothek und samplebaren Sequenzen, Rhythmen und Melodien, die frei verwendet werden können, das Leben hier leichter machen kann.) Dies ist auch abhängig davon wieviel an Freier Substanz bereits vorhanden ist. Damit die Punkte β.) und γ.) wirksam sein können muss ein gewisses Maß an Freier Software bereits verfügbar sein - der Prozess benötigt also zuerst "Starthilfe" von idealistischen Hobby-EntwicklerInnen oder geförderten Universitätsprojekten, o.ä.


Die "Kompatibilität" mit dem Kapitalismus ist also Chance und Gefahr. Die Gefahr, dass so wie so viele Gegenbewegungen dies einfach integriert und instrumentalisiert wird. Auf der anderen Seite steht das Bild eines offene Loches das vom Kapitalismus in kurzsichtiger Logik immer weiter geöffnet wird und das diesen letztlich verschlingt.


Zitat:

Der Kapitalismus ist damit in der Entwicklung seiner Produktivkräfte an eine Grenze gestoßen: eine Grenze, jenseits welcher er sich selbst überwinden müsste, um sein Potenzial auszunützen. (André Gorz, Die Presse/Spectrum 14.08.2004).


Digital Divide

Viele Länder der dritten Welt sind vor allem deswegen von der Informationsgesellschaft ausgegrenzt weil es an notwendigen Breitbandigen Leitungen fehlt. In Afrika existieren Glasfaserleitungen inzwischen vor allem an den Küsten. Währenddessen sind in Europa und Nordamerika zig-fach mehr Kabel verlegt worden als gebraucht werden. Der Kapitalismus liefert eben nur dorthin wo er Zahlungskräftige KundInnen vermutet. Und ohne die notwendige Infrastruktur werden sich diese KundInnen nie dort finden.


Eine Flächendeckende Glasfaserverkablung Afrikas würde, lt. dem Referat eines französischen Telekom Experten beim ESF in Paris, etwa 20 Giga Dollar kosten. (Das ist etwa ein Viertel dessen, was an ursprünglichen Kosten für den Irak Krieg veranschlagt wurde).


Freie Funknetze wie sie über den Dächern in den westlichen Metropolen schon erfolgreich eingesetzt werden, könnten den AfrikanerInnen helfen, die Bandbreite von den Glasfaserendpunkten weiter zu verteilen. 3 Jahre alte Computer, die bei uns oft schon entsorgt werden, könnten für Afrika gesammelt werden und dort zum Aufbau von öffentlichen Internetzentren benutzt werden.


Ist die Barriere des "Online"-Seins erst einmal überwunden, bietet eine Welt in der alles Wissen und alle Information Frei im Netz verfügbar ist, die besten Voraussetzungen, den "Digital Divide" zu überwinden. Ansonsten würde hier bloß die nächste von vielen Barrieren einsetzen: Der Zugang zu teuer Software und zu kostenpflichtigen Datenbanken etc..etc..



Patente, Standortwettbewerb und die globale Hierarchie der Ausbeutung:

Die Teilung der Welt in Arm und Reich erscheint nach obigen Überlegungen als zwar vom blind dahinschlingernden kapitalistischen System verursacht, in dem dort wo kein Profit zu erwarten ist auch keine Infrastruktur aufgebaut wird, sie ist aber durchaus auch von diesem System gewollt, wenn nicht gar eine wichtige Voraussetzung für sein funktionieren.


Die Konzerne haben keineswegs etwas dagegen die Software Produktion und andere Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten in Billiglohnländer zu verlagern ("Outsourcing" / "Offshoring"), sie wollen dabei aber die Kontrolle ("Geistiges Eigentum") über das was entwickelt wird behalten. Die ArbeiterInnen in diesen Ländern sollen also billige ProgrammiersklavInnen abgeben, während das was sie Entwicklen den Konzernen aus den reichen Ländern gehören soll. Patente sind also ein Werkzeug um die globale Hierarchie der Ausbeutung zu stabilisieren und auszubauen.


Den ProgrammiererInnen in Europa wird mit der Verlagerung nach Indien gedroht. In 10 Jahren wird dann den InderInnen damit gedroht die Produktion nach Afrika zu verlagern. Etc... Mit dem "Verlagern" von immaterieller Produktion kann aber hier nur gedroht werden solange jemand die Kontrolle darüber ausüben kann. Wenn alles was notwendig ist, ein Büro und ein Dutzend Computer ist, und der Rest (z.B.: die Millionen Zeilen von Source Code auf denen die Entwicklung aufbaut) frei verfügbar ist, dann kann niemand mehr mit irgendwelchen "Verlagerungen" drohen. Es ist die freie Entscheidung der ArbeiterInnen wer woran arbeiten will oder nicht. Dass das zunächst auch zu einem gigantischen Markt für Kleinunternehmertum führen kann wurde oben schon erwähnt. Solange jedoch die immateriellen Produkte (Software, Medikamenten Rezepturen, Baupläne für technische Anlagen, ... ) dieser Arbeit allen unentgeltlich zur Verfügung stehen ist der Pfad zur Überwindung des Kapitalismus dennoch vorgezeichnet Jedenfalls bietet Freie Produktion die Chance die globale Hierarchie der Ausbeutung zu überwinden.


Genderaspekte und Emanzipationsmöglichkeiten.

Die nackten Zahlen sprechen nicht gerade dafür, dass die neuen Produktionsmethoden dazu beitragen, die Geschlechterdiskriminierung zu überwinden: 98% der Menschen die an Freier Software entwickeln sind Männer. Eine mögliche Erklärung hier könnte sein, dass die, in unserer Gesellschaft traditionell anerzogenen Geschlechterrollen dafür verantwortlich sind: Computer als "Männerhobby". Was gegen diese Erklärung spricht: Selbst bei Wikipedia wo die Themen ja nicht technikzentriert sind ist das Verhältnis etwa 85% Männliche Beteiligung zu 15% weiblicher.


Möglicherweise ist die Ursache eher in der "Psychologie der Motivation" zu suchen. Falls "Ego Gratification" wirklich ein wichtiger Motivationsfaktor ist, handelt es sich dabei ebenfalls um das, was eher den Männern anerzogen wurde.


Ein dritter Erklärungsversuch würde die oben erwähnten "Barieren" im Zugang betrachten. Hier z.B. Punkt a.) "Freie Zeit". Frauen wird in unserer Gesellschaft ohnehin schon eine große Zeit an unbezahlter Reproduktionsarbeit auferlegt so dass sich das Verlangen nach noch mehr unbezahlter Arbeit meist in Grenzen hält.


Auf der anderen Seite bietet Freie Produktion allerdings auch Potenzial zur Überwindung traditioneller Hierarchieverhältnisse. Die globale Hierarchie der Ausbeutung wurde oben schon erwähnt.



Gerade der letzte Punkt lässt hoffen, dass sich die Geschlechterverhältnisse in Freien Projekten zum Positiven ändern werden.

Zusammenfassung

Dass die Kooperative Produktion besser funktioniert als kapitalistische Konkurrenz ist durch den Erfolg von Freier Software nicht mehr nur "graue Theorie" sondern eindrucksvoll belegt. Dass sich dieses Modell zumindest auch auf einen anderen Bereich ausdehnen lässt, ist seit dem Erfolg von Wikipedia ebenfalls evident.


Denken wir an all die vergeudete Arbeitskraft, in der Menschen an 100 Stellen gleichzeitig an etwas forschen und entwickeln, das nur einmal gelöst werden müsste. Denken wir an die Arbeitskraft, die vergeudet wird, weil Menschen in einem Job sitzen bei dem sie wissen, dass sie nichts Sinnvolles machen oder der sie nicht interessiert, den sie aber behalten, weil sei ihre Miete zahlen müssen.


Daraus ergibt sich meines Erachtens genügend Motivation zu versuchen, immer mehr Bereiche unserer Produktion auf Kooperative Methoden zu basieren. Wichtigste Voraussetzung. dass dies weiterhin möglich ist, ist ein intensiver Kampf gegen so genannte "Geistige Eigentumsrechte": Der Kampf gegen Urheberrechte, Patente, "Digital Rights Management" und "Trusted Computing". Zertretet euren iPod!


Die Freie Produktionsweise bietet den Menschen die Möglichkeit selbstbestimmt zu arbeiten und sich von den Zwängen globaler Ausbeutung zu befreien. Voraussetzung dafür ist, dass alle Menschen Zugang zur neuen Digitalen Welt der Freiheit haben. Die flächendeckende Glasfaserverkabelung Afrikas sollte ein wichtiges Ziel sein. Ebenso die Forderung nach garantierten Kommunikationsrechten.


Der Verweis auf die Erfolge Freier Software führt auch alle wirtschaftlichen Einwände, die gegen die Forderung nach einer massiven Arbeitszeitverkürzung gerichtet sind, ad absurdum.


Last but not Least: Wir haben es hier mit einer Möglichkeit zu tun, die Welt zu verändern, die nicht nur in "Forderungen an die Politik" besteht, sondern die es jede/r Einzelnen ermöglicht aktiv zu werden: An welchen Projekten arbeitet ihr? Denkt darüber nach ob diese nicht besser "online" aufgehoben wären. Verzichtet auf euer "Geistiges Eigentum" und startet ein weiteres Projekt globaler Kooperation. Die hier angestellten Überlegungen geben, so hoffe ich, einiges an hilfreiche Info für so einen Schritt.


Der Kapitalismus ist, wie André Gorz so treffend schreibt wie „an eine Grenze gestoßen, jenseits welcher er sich selbst überwinden müsste, um sein Potenzial auszunützen.“ - helfen wir ihm bei der Überwindung. Und nicht vergessen: Talk is Cheap. Show me the Code!


Dieser Text unterliegt der GFDL (GNU Free Documentation Licence http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html ).


Juni 2005, Franz Schäfer.

1 NPOV steht für "Neutral Point of View" und besagt, dass die enzyklopädischen Artikel in Wikipedia von einem "neutralen" Standpunkt aus geschrieben werden müssen: Bestehen zu einem Thema verschiedene Ansichten so müssen alle Sichtweisen angeführt werden. z.B: Von den Befürworten des XXX wird ....... , von den Gegner werde dazu allerdings folgend Einwände vorgebracht .......